Bei einer Leseempfehlung auf dem Blog einer an einer Depression erkrankten Person erwartet man vermutlich ein Selbsthilfe-Buch oder einen Erfahrungsbericht – aber kein glühendes Plädoyer für einen halbwüchsigen Zauberlehrling, der vor mehr als 2 Jahrzehnten einen weltweiten Hype auslöste. Aber genau das folgt hier. Als Harry Potter auf den Markt kam, hab ich mich dem ganzen Thema verweigert und ich hatte auch nie vor, die Bücher zu lesen oder die Filme zuschauen. Doch dann kam die Depression – und Harry Potter erwies sich aus mehreren Gründen als die perfekte Begleitlektüre.
1. Wenn es mir nicht gut geht, kann ich keine Bücher lesen/Filme schauen, in denen Menschen mit psychischen Problemen auftauchen. Selbst wenn die Geschichte am Ende gut ausgeht, triggert das währenddessen etwas in mir, das mir Angst macht. Die Auswahl an Unterhaltungsstoffen ist also nicht einfach, weil man das vorher manchmal einfach nicht weiss (ein dickes Sorry an meinen Freund, der an der Filmauswahl oft verzweifelt) . Bei Harry Potter ist man safe. Es geht zwar auch um ernste Themen, aber niemand hat einen Nervenzusammenbruch, Depressionen oder andere psychische Erkrankungen (ich bin bei Band 6, vielleicht kommt das noch).
2. Die Geschichten sind so einfach und die Aufteilung in Gut und Böse so eindeutig, dass man auch als unkonzentrierter Leser mitkommt. Bei einer Depression nicht ganz unwichtig (obwohl ich zugeben muss, daß ich die Inhalte aus den mittleren Bänden schon wieder vergessen hab. Aber auch das ist nicht schlimm, man versteht die späteren Bände trotzdem…)
3. Man kann auch gut am Ball bleiben, wenn man immer nur Mini-Häppchen liest. Wenn man morgens um 6 aufwacht statt zu grübeln. Wenn das Kind einen Mittagsschlaf hält, beim Warten auf den Arzt oder Therapeuten. Man kommt quasi sofort wieder rein, liest zwei, drei Seiten und liest bei der nächsten Gelegenheit weiter. Die Bücher sind tatsächlich so geschrieben, dass das Eintauchen bei mir immer sofort klappt.
4. Ein nicht zu unterschätzende Faktor, wenn man aufgrund der Krankheit gerade schlecht entscheiden kann: ich muss mir nicht immer wieder ein neues Buch raussuchen und überlegen, was als nächstes kommt und zu meiner Stimmung passt. Mir wird das nächste Buch der Reihe automatisch vorgeschlagen, sobald ich mit dem einen Band fertig bin. Ein Fingerklick genügt…
5. Die Kontinuität gibt Sicherheit. Ich bin eigentlich ein schneller Leser, bin aber Gefühl seit Monaten an Harry Potter dran. Ich weiss was ich daran hab und dass es mir hilft, die Grübelspirale zu durchbrechen.
Wenn ich mit Harry Potter und allen Begleitbüchern durch bin, hoffe ich sehr, dass ich die Depression hinter mir oder zumindest im Griff hab. Sonst versuch ich es vielleicht mal mit der „Bis zum Morgengrauen“ -Reihe – auch etwas, was mein gesundes Ich nicht unbedingt lesen würde. Alternativ denke ich über Herr der Ringe nach (könnte aber zu komplex sein), die Tribute von Panem hab ich schon gelesen und fand sie auch zu düster (siehe Punkt 1).
Womit lenkt ihr euch in so einer Phase ab? Oder könnt ihr dann gar nicht lesen?
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