Monatelang hab ich gekämpft – damit auf der Arbeit bloß nur niemand merkt, wie es mir geht. Ich war keinen Tag krankgeschrieben, weil ich mir sicher war, es dann nicht mehr zu schaffen, wenn ich einmal loslasse. Ich habe am Telefon gescherzt, alle Aufgaben erfüllt, geben die Müdigkeit und die Übelkeit angekämpft und hatte trotzdem jeden Freitag Angst, dass ich es in der darauffolgenden Woche nicht mehr schaffe, dienstags wieder hinter dem Rechner zu sitzen, weil die Kraft nicht mehr reicht.
Als das Thema Tagesklinik konkret wurde, musste ich also eine Entscheidung treffen. Arbeiten und die Fassade wahren geht nämlich nicht, wenn man montags bis freitags von 8 bis 16 Uhr in Therapiesitzungen sitzt. Die Entscheidung für den Tagesklinikplatz ist also auch automatisch die Entscheidung für eine mehrwöchige Krankschreibung.
In den Tagen vor der Zusage habe ich mich furchtbar gefühlt. Wenn in den Konferenzen über längerfristige Themen gesprochen wurde, wie den Social-Media-Adventskalender, kam ich mir vor, wie ein Verräter – weil ich dann wahrscheinlich nicht da sein würde, es aber jetzt noch sagen konnte. Ausser einer Kollegin-Freundin wusste niemand, wie es mir geht.
Ich habe lange mit mir gerungen, wie viel die anderen Kollegen und vor allem mein Chef wissen sollten, wenn ich dann für einen unbestimmten Zeitraum „krank“ bin. Ich habe mich letztendlich dazu entschieden, meinem Chef die Wahrheit zu sagen, den Kollegen aber nicht.
Warum ich das gemacht habe?
Ich habe ein relativ gutes, vertrauensvolle Verhältnis zu meinem Chef. Ich wollte nicht, dass er sich Sorgen macht, ich hätte Krebs. Ich wollte ihn darauf vorbereiten, dass ich nicht weiss, wie lange ich ausfalle, ich wollte ihm die Kurzfristigkeit der ganzen Sache erklären (ich hab es ihn 3 Tage vor dem Start der Klinik gesagt) und ich wollte die Möglichkeit haben, nach meiner Rückkehr offen mit ihm zu sprechen, was mir gut tut und was nicht.
Die Kollegen wissen wiederum nicht, warum ich ausfalle. Ich fühle mich zu verletzlich und zu fragil, um offen damit umzugehen. Vielleicht erwähne ich es irgendwann mal, wenn es mir wieder gut geht. Aber in der Depression den Mut aufzubringen, mit Menschen, die mir nicht nahe stehen, über eine Krankheit zu sprechen, über die noch nicht wirklich offen gesprochen wird, weil man so zu sagen die personifizierte Schwäche ist, das schaff ich noch nicht. Ist halt eben doch kein einfacher Beinbruch…
Natürlich weiß ich nicht, wie mein Chef mit mir umgeht, wenn ich wieder da bin. Aber ich war trotzdem total erleichtert, als die Katze aus dem Sack war. Und seine Reaktion hat gezeigt, dass die Entscheidung zumindest für den Moment genau die richtige war. Er war verständnisvoll, ohne pathetisch zu sein, hat sich für die Offenheit bedankt und hat mir mehr als einmal gesagt, dass ich mir um die Arbeit keine Gedanken machen soll. Ich soll erstmal wieder gesund werden und mir alle Zeit nehmen, die ich brauche. Das nimmt mir eine große Last von der Brust, auch wenn die Behandlung in der Klinik alternativlos gewesen ist und ich deshalb gar keine andere Wahl hatte, als die Kollegen „hängen zu lassen“. Durch das offene Gespräch fühlt es sich weniger wie ein Hängen lassen an.
Er kennt die Krankheit aus seinem Umfeld – ein Umstand, der bei 4 Millionen depressiven Deutschen eigentlich nicht verwundern dürfte und der mir immer wieder begegnet, wenn ich offen von meinen psychischen Problemen rede. Vielleicht ist die Gesellschaft irgendwann soweit, dass man es genauso erzähle kann wie eine Grippe oder eine Lungenentzündung – nämlich nichts wofür man sich schämen muss, weil es einfach eine Krankheit ist. Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg und ich bin sehr froh, dass mein Chef von sich aus angeboten hat, den Kollegen ohne Angabe von Gründen zu sagen, dass ich ausfalle. Ich muss also nicht lügen – was mir sehr schwerfällt – und muss auch nichts erklären, wenn ich wieder da bin. Da sogar die Krankschreibung neutral gehalten ist, muss ich, wenn ich nicht will, niemandem etwas erzählen. Das nimmt mir für den Moment eine große Last….
Wie geht Ihr am Arbeitsplatz mit Eurer Krankheit um?
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