Um es direkt Vorneweg zu sagen: DIE Depression gibt es nicht. Diese Krankheit ist so wandelbar wie ein Chamäleon und so changierend wie Öl auf einer Pfütze. Nur eben in schwarz, schwarz, grau und schwarz. Alles, was ich sagen kann, ist wie sich meine Depression anfühlt – und das auch nur in dieser Episode. Beim letzten Mal war es irgendwie tiefer, aber dafür hab ich mich auch schneller wieder aufgerappelt…


Meine Depression ist eine Krake, die ihre Arme um meinen Körper schlingt, mir die Luft zum Atmen nimmt und mich immer tiefer unter Wasser zieht. Manchmal kann ich das Sonnenlicht durch die Oberfläche schimmern sehen, aber ich bin gelähmt und schaffe es nicht, nach oben zu schwimmen.

Jeder Tag ist wie ein Marathonlauf: die kleinsten Kleinigkeiten, über die sich Gesunde keine Gedanken machen, kosten unfassbar viel Kraft. Die Fassade aufrechtzuerhalten, der Versuch, der Krankheit davonlaufen, immer einen Schritt schneller zu sein, kostet unfassbar viel Kraft. Mein Gehirn läuft auf Hochtouren, mein Herz rast – doch von Außen sieht man nicht, wie ich renne. Abends sinke ich todmüde ins Bett, wache am nächsten Tag aber viel zu früh auf und starte todmüde in den nächsten Marathon – obwohl ich schon morgens nicht weiß, wie ich den Tag überstehen soll und ich mir manches Mal wünsche, der Tag wäre schon vorbei.

Meine Depression ist ein täglicher Überlebenskampf. Mein Körper ist in ständiger Alarmbereitschaft, mir gegen vor lauter Stress die Haare aus, mir ist ständig schlecht. Das Gute ist, dass Sie daran nicht wirklich sterben können, sagt meine Therapeutin. Ich frage mich aber mehr als einmal, wie viel ich auszuhalten in der Lage bin…

Überhaupt, der Körper. Ich habe einen Eisenring ums Herz, kann weder richtig Atmen noch zur Ruhe kommen. Mein Nacken ist so verspannt, dass ich ständig ein sirrendes Geräusch im Kopf habe. Jede Faser meines Körpers tut weh und ist von schier unendlicher Müdigkeit durchtränkt. Ich hab nicht gewusst, dass man so müde sein kann…

In mir rast etwas, obwohl ich es selbst nicht benennen kann. Ich weiß nicht, ob es die Gedanken sind, oder mein Puls oder irgendeine toxische Energie. Mehr als einmal hab ich weinend vor meinem Freund gestanden und gesagt,  ich kann einfach nicht mehr. Da wurde so viel Kraft und Energie verbrannt, und ich wusste selbst nicht, warum und wofür. Ich habe mich so oft einfach nach Ruhe gesehnt, dass das wilde Rasen aufhört. Ich habe mir mehr als einmal einen Autounfall mit 4 wöchigem Koma herbeigewünscht, einmal wollte ich tatsächlich lieber tot sein – nur endlich Ruhe…

Meine Depression ist eine wahnsinnig einsame Krankheit. Ich hab mich vor allen Freunden und vor meiner Familie versteckt, weil ich mich einfach für nichts außer mich selbst und meinen Kampf interessieren konnte. Geschichten aus deinem Job? Aus der Kita deiner Kindern?!? Das interessiert mich alles nicht, weils mir beschissen geht! Die Depression ist ein wahnsinniger Egoist. Ich habe den Menschen, der ich in dieser Zeit war, selbst nicht gemocht. Und ich wollte meinen Lieben nicht zwingen, diesen Menschen trotzdem mögen zu müssen…

Meines Gefühle sind zersplittert wie ein Spiegel. Weil die äußere Form noch stimmte, hat keiner gesehen, wie mein Inneres immer mehr zerfallen ist. Sogar die Liebe zu meiner Tochter, etwas, was ich für absolut unverrückbar gehalten hab, war irgendwann verschüttet. Es hat mir das Herz gebrochen, nicht mehr zu fühlen, dass ich sie liebe…

Die Depression ist das alles und noch viel mehr: die Unfähigkeit, beim Bäcker ein Brötchen zu kaufen. Die Angst vorm Wochenende, auf das sich alle anderen freuen. Weinen wollen, wenn ein strahlendes Kind einen umarmt. Die Kaltherzigkeit, am Geburtstag meines Freundes zu sagen, dass ich am liebsten in die Klinik will. Die Gleichgültigkeit gegenüber Corona. Jeden Morgen vor dem Weckerklingeln aufzuwachen und zu checken, ob die Depression noch da ist. Die Unfähigkeit, sich für Dinge jenseits von Antidepressiva, Krankheit und Therapie zu interessieren. Die Überzeugung, dass es nie wieder besser wird und ich chronisch depressiv bleibe. Das Gefühl, sich von Therapiestunde zu Therapiestunde zu hangeln. Stundenlange Grübelschleifen, fast manisches Googeln von Symptomen, Nebenwirkungen von Antidepressiva und Erfahrungsberichten. Jede Menge Schuldgefühle. Wut und ganz viel Angst.

Ich habe in den letzten Monaten Dinge gefühlt, die ich nicht für möglich gehalten hätte. Dieses Grauen wird noch lange in mir nachhallen, auch wenn die Krake sich irgendwann wieder zurückgezogen hat.

Kennt Ihr diese Gefühle? Oder war es bei Euch komplett anders?

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