Schuld- und Schamgefühle gehören zu den typischen Symptomen einer Depression. Das mag im ersten Moment überraschen, weil es ja primär einem selbst schlecht geht, und das Umfeld quasi nur sekundär betroffen ist. Und trotzdem hab ich mich in den letzten Monaten meiner Familie gegenüber unfassbar schuldig gefühlt. Meinem Freund gegenüber, weil ich ausgerechnet in der Corona-Pandemie nicht mehr „meinen Teil“ zum Schutz der Familie beitragen konnte – tatsächlich war und ist mir Corona über weite Teile komplett egal, ich wollte nur nicht zusätzlich mit dem „Problem“ konfrontiert sein, dass einer von uns krank wird. Viel größer aber sind die Schuldgefühle die ich fühle, wenn ich mit meinem Kind zusammen bin.Meine Tochter ist ein absolutes Wunschkind und die ersten zwei Jahre war ich eine sehr gelassene Mutter, die sich eigentlich durch wenig hat erschüttern lassen. Mir hat Muttersein so zu sagen gelegen und auch die weniger schönen Momente haben mir nichts ausgemacht.

Und plötzlich war davon nichts mehr da. Im Gegenteil, ich hatte zum Teil Angst davor Zeit mit meiner Tochter zu verbringen. Ich habe mir wochenlang morgens schon gewünscht, der Tag wäre rum, weil ich Zeit mit meiner Familie nicht ertragen konnte. Das lag und liegt nicht an meiner Familie, sondern daran, dass ich Zeit im allgemeinen nicht ertragen konnte.

Dass die Kleine mich mit soviel Liebe und Glück angestrahlt hat und ich gleichzeitig innerlich vor Traurigkeit fast zerrissen bin, hat mir immer wieder aufs neue das Herz gebrochen. Während wir gespielt haben, war ich abwesend, weil ich Antidepressiva und entsprechende  Erfahrungsberichte gegoogelt und verzweifelt einen Platz in einer Tagesklinik oder in einem psychosomatischen Krankenhaus gesucht hab. Zwischenzeitlich  hatte ich tatsächlich das Gefühl, ich muss weg von zu Hause, weil ich es in der Nähe der beiden Menschen, die ich am meisten liebe, kaum noch aushalte. Ich hatte das Gefühl, ich muss von den beiden weg, um mich selbst wiederzufinden.

Niemals, seit der Geburt meiner Tochter, hätte ich geglaubt, dass mir die Mutterrolle plötzlich so fremd sein könnte. Man liest oft, dass Menschen sagen, die Geburt ihres Kindes hätte alles verändert und zurechtgerückt. Das hat bei mir aber nicht (mehr) funktioniert. Ich bin Mutter und trotzdem verängstigt, unsicher, grüblerisch, egozentrisch (eine Depression macht einen nicht gerade zu einem liebenswerten Menschen). Meine Tochter war und ist das Wichtigste in meinem Leben, aber plötzlich drehte sich alles in meinem Kopf nur um mich. Das Gefühl von Schuld war manchmal kaum aushalten…

Erschwerend kam hinzu, dass die Maus im letzten halben Jahr einen enormen Sprung beim Spracherwerb gemacht hat. Sie hat in den letzten Monaten immer mehr verstanden und meine Angst war riesengroß, dass sie merkt dass etwas mit mir nicht stimmt – und viel schlimmer noch, dass mit meinen Gefühlen ihr gegenüber etwas nicht stimmt. Ich habe nach wie vor Angst, dass sie im Kindergarten etwas von dem erzählt, was sie zu Hause aufschnappt. Von meinen Therapien und der Tagesklinik, von den Medikamenten und dem immer noch fast täglichen Kampf.

Ich habe die Depression richtig hassen gelernt, als sie mir die Fähigkeit genommen hat, die Liebe zu meinem Kind und zu meinem Partner zu spüren, obwohl ich immer wusste, dass sie eigentlich da ist.

Aber war oder bin ich wirklich eine schlechte Mutter, weil ich durch eine schwere Zeit gehe? Gehört zum Muttersein wirklich, dass ich dabei immer auch das große Glück empfinde? Oder kann ich nicht auch unglücklich meinem Kind alles geben, was es braucht?

Mein Freund hat mir in den letzten Monaten sehr geholfen, indem er meine Gefühle von Distanz ihn gegenüber einfach stoisch ertragen hat. Vielmehr aber noch, indem er mir immer wieder gesagt hat, dass unsere Tochter von mir all das bekommt, was sie braucht. Streicheleinheiten, tröstende Worte, Liebe und zu Essen, Verbindlichkeit. Nur eben das Mama dabei halt müde und traurig aussieht. Er hat mir gespiegelt, dass mein Verhalten immer noch das einer guten Mutter ist, auch wenn es mich innerlich schier unglaubliche Kraft gekostet hat. Er hat ungebrochen meinen Mutterinstinkten vertraut, in einer Zeit, in der ich das Vertrauen in alles verloren hatte. Er hatte zu keiner Zeit Sorge, mich mit unserem Kind, das er über alles liebt, alleine zu lassen. Er hat in mir weiterhin die gute Mutter gesehen, zu der ich selbst den Kontakt verloren hatte.

Und er hat Recht behalten. Die ganz schlimmen Gefühle, die so furchtbar waren, wie ich noch nie etwas gefühlt habe, sind nicht wiedergekommen. Ich habe immer noch viel Angst vor unverplanter Zeit mit ihr. Ich muss immer noch mit dem Schuldgefühl leben, dass ich mich (noch) nicht wieder mit Freunden verabreden kann und sie ihre Freunde vermisst. Aber das Band zwischen uns ist wieder da – auch wenn das Grauen, dass es überhaupt durch diese beschissenen Krankheit gekappt werden kann, bis heute in mir nachhallt.

Wie war das bei euch? Wie seid ihr in der Depression mit eurer Mutter-/Vaterrolle zurecht gekommem?

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