Es gibt Dinge, die sind so klischeebehaftet, dass man sie sich am liebsten verkneifen will, auch wenn man eigentlich Lust drauf hätte: Die Klamotten von Pretty Woman anziehen, 5-Liter-Eimer Eis bei Liebeskummer essen – oder eben eine Veränderung der Frisur, wenn ein neuer Lebensabschnitt ansteht (wie der 40. Geburtstag) oder etwas anderes neues beginnt (die Behandlung in einer Tagesklinik wegen Depression zum Beispiel). Auch wenn ich das Klischee einer Frau in der Lebenskrise oder in Aufbruchstimmung nicht bedienen will, geistert mir sein einiger Zeit der Gedanke im Kopf herum, mir dringend die Haare färben zu müssen.

Nachdem ich in jungen Jahren ziemlich lange rotbraun war, bin ich seit mehr als einem Jahrzehnt blond. Und kann den Anblick im Spiegel echt nicht mehr sehen. Das hat allerdings weniger mit dem Wunsch nach sichtbarer Veränderung zu tun, als mit ein paar lästigen Begleiterscheinungen der Depression, die mir in den tiefsten Stunden völlig egal waren, aber mir jetzt immer mehr auffallen. Sie stören mich, freuen mich aber gleichzeitig, weil sie zeigen, dass sich mein Horizont langsam wieder weitet.

Zum einen sind meine blonden Strähnchen rausgewachsen, der Ansatz ist gigantisch und aschgrau. Allein der Gedanke ans Haare färben hätte mich vor ein paar Wochen verrückt gemacht. Ich hätte einen Termin machen müssen, eine Entscheidung fällen, mit der Friseurin reden. No way… Durch den Ansatz seh ich alt aus, müde und ungepflegt, obwohl ich es immer geschafft hab, mir jeden Morgen die Haare zu waschen.

Aber in den letzten Monaten war es eh völlig egal, wie ich aussehe, weil mich kaum einen Mensch gesehen hat, außer Mann und Kind und die Kollegen in Online-Konferenzen. Die ersten beiden lieben mich auch mit Ansatz, die anderen haben eh nur Pixel-Matsch von mir gesehen. Und wenn du täglich ums Überleben kämpfst, ist dein Ansatz dein letzten Problem.

Hinzu kommt, dass die Depression – dieses Miststück, das wirklich meinen ganzen Körper und jeden Lebensbereich angreift – auch vor meinen Haaren nicht halt gemacht hat. Sie sind stumpf und spröde, und gehen ziemlich heftig aus (keine Ahnung womit das zusammenhängt. Stress vielleicht?).

Auch das ist in einer Depression nicht das größte Problem, trägt aber nicht dazu bei, sich wohl zu fühlen.

Nachdem es mir monatelang egal war, und ich mir morgens die nassen Haare einfach zu einem Knutz zusammengedreht hab, fängt es jetzt an, mich zu stören. Weil es nicht um die Veränderung geht, sondern einfach darum, wieder vernünftig auszusehen, hätte ich auch einfach wieder blonde Strähnchen genommen. Aber so fit und kontaktfreudig, dass ich meine Friseurin zu mir nach Hause bestelle, oder – noch viel schlimmer – in einen fremden Friseursalon gehe (etwas, was ich schon gesund hassen würde), bin ich noch lange nicht.

Also bleibt nur, selbst Hand an zu legen.

Früher hab ich auch selbst blondiert, aber dann sieht der Ansatz immer aus wie bei Kurt Cobain – und das ist kein Vorbild, dem ich in der Depression nacheifern will. Selbstgemachte Haubensträhnchen sehen vermutlich zu sehr nach 80ern aus – und so bleibt mir nur, eine andere Farbe zu wählen. Weil ich Angst vor der eigenen Courage habe, wähle ich erstmal eine Tönung – im Notfall kann ich das ganze Wochenende unter der Dusche verbringen, wenn mir die Farbe nicht gefällt.

Ein Mittelbraun soll sein, dass ist nicht so weit weg von meiner Ursprungshaarfarbe, sodass der Cut nicht zu extrem ist. Und wie gesagt, rotbraun war ich früher schon mal.

Den Zeitpunkt des Färben hab ich dann fünf mal oder so aufgeschoben. Ich wollte nicht, dass die Kollegen es noch sehen (sie wissen nicht, warum ich krank bin), dann wollte ich nicht vor der letzten Therapiestunde, damit ich nicht mit meiner Therapeutin über die Symbolkraft einer neuen Haarfarbe sprechen muss. Direkt vor der Klinik war auch blöd, falls die Haare grün werden…. In meinem aktuellen Universum war es kompliziert. Jetzt hab ichs am ersten Wochenende nach Beginn der Tagesklinik gemacht. Die Farbe ist schön, der Unterschied deutlich, aber nicht radikal und ich fühle mich tatsächlich besser – und ein bisschen passt es auch zum neuen Lebensabschnitt.

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