Natürlich kann man einer Jahreszahl nicht die Schuld geben, der Jahreswechsel ist ein Tag wie jeder andere.

Trotzdem ist es, weil die Umstände es erzwingen, ein ganz guter Zeitpunkt, um zurückzuschauen. 

Die letzten 6 Monate waren wahnsinnig intensiv. Neben der weltweiten Katastrophe Corona hat sich eben in mir drin meine ganz persönliche Katastrophe abgespielt. Ich habe Dinge gefühlt, die ich nicht für möglich gehalten habe und wie ein Drachentöter mit einem Monster gekämpft, das außer mir niemand gesehen hat. Dieser Kampf hat mich so unfassbar viel Energie gekostet und mich Dinge über mich gelehrt, die ich vielleicht lieber gar nicht erst kennengelernt hätte. Ich hatte zum Beispiel wahnsinnig viel Angst, hab mich innerlich getrieben gefühlt und hab auf die ganz harte Tour gelernt, dass Mutterliebe kein unverückbarer Grundpfeiler meiner Persönlichkeit ist. Nichts, auf das ich mich glaubte verlassen zu können, ist tatsächlich ein unverückbarer Bestandteil meiner Person. Die Erkenntnis tut weh, aber diese Krankheit kann einen so antreiben, dass von dem, was man glaub zu sein, wenig übrigbleibt. 

Ich hab die Depression immer als ein Monster, etwas zwar in mir bestehendes, aber irgendwie Fremdes, einen Aggressor, wahrgenommen (ein schwarzes Loch im Bauch, die Krake, das rachsüchtige/bösartigende/fordernde Biest). Aber tatsächlich bin das alles irgendwie ich (eine unbequeme Erkenntnis aus den Therapien). Niemand macht die Gedanken, außer mir selbst, das Monster ist ein Teil von mir. 

Mit diesen schmerzhaften Erkenntnissen – und mit dem Gefühl, einen schweren Sturm vorerst überstanden zu haben, starte ich ins neue Jahr, mit dem so viele Menschen so viel Hoffnung verbinden. Ich muss in den nächsten Wochen und Monate meine Kampfwunden und die blauen Flecken auf der Seele heilen lassen, das vorerst gezähmte Monster nicht gerade lieben lernen, aber akzeptieren, dass es da ist (es bringt ja nichts, wenn ich versuche, zu vergessen, dass es irgendwo in mir schlummert) und zu versuchen, meinen Frieden damit zu finden. Es gehört nun einmal zu mir und es wird vielleicht/wahrscheinlich/ganz bestimmt irgendwann auch nochmal erwachen. 

Auch wenn er fast schon klischeehaft trieft, stimmt der Satz eben doch : Ich habe zwar eine Depression, aber ich bin nicht die Depression. Allerdings muss ich erst lernen, ihn mit Leben zu füllen. Denn in der Hochphase der Krankheit bleibt wenig übrig, worauf man zurückgreifen kann. 

Die Frage, wer ich wirklich bin und worauf ich mich selbst tatsächlich verlassen kann, auch wenn mich noch einmal so ein Sturm erfasst, kann ich noch nicht beantworten. 

Beim letzten Therapie-Gespräch vor dem Jahreswechsel sagte die Ärztin – auch das ein Klischee – dass man an solchen Krisen reift. Im Moment fühle ich mich eher schutzlos und nackt und sehr sehr müde… Es wird noch eine Weile dauern, bis ich aus dem Erlebten – hoffentlich Stärke ziehen kann. 

PS: Ich habe keine Tätowierungen und bin auch nicht sicher, ob ich jemals damit anfange. Aber mittlerweile kann ich verstehen, dass sich Menschen, die Depressionen überstanden haben, als Zeichen ein Semikolon tätowieren. Auch wenn die Krankheit einen nicht gerade mit Stolz erfüllt, sind wir Drachentöter, die überlebt haben. Und das ist verdammt noch mal ne ziemliche Leistung, an die man sich selbst ruhig immer Mal erinnern sollte.

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