Ich wollte immer schon eine eigene Familie, am liebsten eine grosse. Das war für mich die ersten 30 Jahre meines Lebens eigentlich immer klar. Doch wie das oft so mit Wünschen und Träumen ist, ist das Leben dann irgendwie ganz anders verlaufen. Erst gab es nicht den Mann zum Traum, dann war der Job nicht ganz so richtig für eine Familiengründung – und als beides eigentlich passte, fingen die Probleme zwischen mir und meinem Freund an. 

Denn er war von meinem Familienmodell keineswegs so überzeugt wie ich. Mehrere Jahre Diskussionen und Streits, eine Paartherapie und auf beiden Seiten Einzeltherapien, eine Depression auf meiner Seite (sicher mitbegünstigt durch das Gefühl, sich zwischen der Liebe und meinem Kinderwunsch entscheiden zu müssen) und ein paar fantastische Fernreisen später haben wir uns schließlich gemeinsam dazu entschieden, ein Kind zu bekommen. Das Ergebnis ist jetzt Zweieinhalb und der bezaubernste Diktator, den man sich vorstellen kann. Mein Freund ist genau der fantastische Vater, den ich immer in ihm gesehen habe und wir könnten eigentlich alle gemeinsam in den Sonnenuntergang reiten (bzw. in unserem eigenen Garten schaukeln). Eigentlich. Den uneigentlich ist bei mir ziemlich bald nach der Geburt unserer Tochter den Wunsch nach einem zweiten Kind aufgetaucht. 

Wir waren von Anfang an so gut darin, Eltern zu sein und hatten dabei auch so viel Spaß – und waren und sind so voller Liebe – dass ich mir sehr schnell gewünscht habe, noch ein zweites Kind zu bekommen. Ich dachte, die Liebe reicht für ein zweites, wir machen unserer Tochter mit einem Geschwisterkind ein riesiges Geschenk, von dem sie im Idealfall  ein Leben lang profitiert und holen uns noch ein bisschen mehr Leben und Glück in die Bude. Ich wollte nicht sofort wieder schwanger werden, aber irgendwann, in zwei, drei Jahren… 

Was für mich allerdings eine Liebeserklärung an uns, unser Leben und unsere Familie war (wir sind so toll, das will ich nochmal!), hat bei meinem Freund genau das gegenteilige ausgelöst, von dem was gemeint war: Druck, Ablehnung, Unverständnis. Er war und ist mit unserer Familie zufrieden, wie sie ist. 

Und ich muss mit dem Gefühl der Ablehnung leben. Und mit der Tatsache, dass mein Wunsch wahrscheinlich niemals in Erfüllung gehen wird. An diesem Gefühlsgemenge habe ich seit Monaten schwer zu knabbern. Ich habe das Gefühl, ich muss zurückstecken, meinem Vertrauen, dass wir ein zweites Kind wuppen, wird nicht vertraut, und der Liebesbeweis, der meinen Augen darin steckt, wird zurückgewiesen. Du hälst mich für den besten Vater der Welt und willst mit mir noch ein Baby? Danke, aber nein danke… 

Und da kommt jetzt meine Depression ins Spiel. Natürlich gibt und gab es auch andere Auslöser. Der Hausbau, der uns über die Belastungsgrenze gefordert hat, die daraus resultierende Entfremdung. Die Corona-Krise mit all dem Social Distancing und der Vereinsamung, grundlegende Umwälzungen in meinem Arbeitsleben und vieles mehr. 

Aber wieder – wie schon bei meiner ersten Depression vor sechs Jahren – spielt auch der Kinderwunsch (bzw. seine Ablehnung) bei der Entwicklung der Krankheit wieder eine Rolle. Von meiner Therapeutin weiss ich, dass Depressionen off der verzweifelte Versuch sind, eine Lösung für ein Problem zu finden, das auf der bewussten Ebene unlösbar scheint. Blöd nur, dass die Lösung „Depression“ ziemlich dysfunktional ist. Sie ist schmerzhaft, anstrengend, raubt dir die letzte Kraft und versetzt dich in einen Überlebenskampf, der ein normales Leben kaum noch möglich macht. In meinem Fall vermeidet sie aber auch Streits und Auseinandersetzungen, raubt mir den Glauben daran, die Kraft für ein zweites Kind zu haben (deshalb spielt der Kinderwunsch auch bei mir selbst aktuell keine grosse Rolle) , und zwingt die komplette Aufmerksamkeit unserer gesamten Familie auf ein Thema – nämlich meine Gefühlswelt. Wenn ich unbewusst also das Gefühl hatte, meine Bedürfnisse werden nicht gesehen oder ignoriert, dann erbringt die Depression den Gegenbeweis. Monatelang gab es nichts anderes ausser meiner Befindlichkeit für unsere Beziehung. Die Sorgen meines Freundes in Bezug auf Corona, Unsicherheiten in seinem Arbeitsumfeld, das alles spielte praktisch keine Rolle. Die Depression machte mich zu einem unbequemen, nicht sehr liebenswerten Zeitgenossen und zwang ihn so immer wieder zu neuen Liebesbeweisen (er konnte mich ja schlecht an einer Autobahnraststätte aussetzen, sondern musste monatelang die Last der Familie fast alleine schultern). 

Vielleicht geht das Monster in meinem Bauch sogar noch weiter, und will auf eine ziemlich krude und grausame Art meinen Freund für seine Ablehnung „bestrafen“ – obwohl das echt ne Kackidee von der Depression wäre, weil ich ja die Hauptleidtragende bin, die sich seit Monaten mit der Krankheit rumquält. Aber so eine Depression lässt sich mit rationalen Argumenten leider nicht zufriedenstellen, auch meine tiefe und ehrliche Überzeugung, daß ich dieses Leben mit diesem Mann führen möchte (auch wenn das heisst, dass ich mich vom Gedanken an ein zweiten Kind verabschieden muss), reicht ihr nicht. 

Mehr als einmal hätte ich mir gewünscht, ich hätte sagen können: Vielen Dank, liebe Krake, ich habe meine Lektion gelernt, du kannst gehen…. 

Aber bis die Gedanken zu Gefühlen werden, und das berühmte Loslassen wirklich funktioniert, dauert es wohl eine ziemliche Weile. 

Bis dahin kann ich nur froh sein, dass mein Freund das alles mit mir aushält und unsere Liebe auch diesen Sturm überdauert. Das ist alles andere als selbstverständlich und bestimmt auch oft alles andere als leicht. Eine Depression ist halt eben doch kein einfacher  Beinbruch…. 

 

 

 

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