Grundsätzlich fühle ich mich in der Tagesklinik sehr wohl. Aber zweimal die Woche gibt es einen Termin, der mir – und den Mitpatientinnen – regelmässig den Puls hochtreibt: Die Visite. Immer dienstags und freitags müssen wir nacheinander vor versammelter Mannschaft antreten. Die Zusammensetzung ist immer etwas anders, aber in der Regel ist aus jedem der verschiedenen Personen-Gruppe, die sich in uns kümmern, zumindest einer anwesend. Das heisst, eine Pflegerin, ein oder mehrere Ärzte, ein oder zwei Psychologinnen, eine Sozialarbeiterin und ein oder mehrere Therapeuten aus den praktischen Bereichen (Musik, Drama, Körper). Sie alle sitzen im Kreis, ihnen gegenüber ein einsamer Stuhl für den Patienten.

Ich bin mir sicher, dass sie einen freundlich und aufmunternd anlächeln – wegen der Masken kann man das allerdings nicht sehen. Und ohnehin ist das Setting so, dass man sich wie in einem Vorstellungsgespräch oder der mündlichen Abi-Prüfung fühlt.

Erschwerend kommt hinzu, dass man vorher auf dem Gang wartet und durch die hellhörigen Wände hört, dass über einen gesprochen wird (aber ohne die Inhalte zu verstehen). Am schlimmsten waren die ersten zwei, drei Termine, als man die Personen noch überhaupt nicht kannte, doch auch jetzt nach knapp zwei Wochen, wo man den verschiedenen Therapeuten zumindest schon mal begegnet ist, ist die Situation echt unangenehm.

Warum findet die Visite in dieser Form statt? 

Natürlich wird das ganze nicht gemacht, um uns zu stressen oder zu ärgern, sondern wurde uns wie folgt erklärt. Der Ansatz der Klinik ist multimodal, alle Therapieeinheiten beziehen sich aufeinander und sind aufeinander abgestimmt. Die Therapeuten tauschen sich also regelmässig über uns aus. Unter anderem dazu dient die Visite. Die Sozialarbeiterin erklärte uns zudem, dass es für alle wichtig sei, die Informationen nicht nur vom Hörensagen zu bekommen, sondern uns auch selbst regelmässig zu sehen. Zugleich soll die Visite dazu dienen, dass wir Wünsche und Bedürfnisse äußern können.

Nun ja, alleine als Depressiver/Angsterkrankter vor acht Maskierten zu sitzen und seine Wünsche zu platzieren, ist gelinde gesagt eine Herausforderung. Zudem hat man immer die Angst, „etwas falsches“ zu sagen, obwohl es bei so einer Krankheit ja weder „falsch noch richtig“ gibt (Stell ich mich zu gesund dar? Oder zu krank? Vergesse ich nicht die Hälfte? Und will ich bestimmte Dinge vor versammelter Mannschaft erzählen? Wobei es ja eh keine Geheimnisse gibt, weil sie sich „hinter unserem Rücken“ eh absprechen….)

Als hilfreich hat es sich für mich erwiesen, mir vor der Visite ein paar Notizen zu machen, wenn es etwas gibt, was ich auf dem Herzen habe. Und mir, wenn ich etwas gesagt bekomme, sofort aufzuschreiben (sonst hab ich es nach der Visite vergessen).

Und zum Glück ist unsere Lieblingspflegerin, die eh hauptsächlich für uns zuständig ist, immer mit dabei – das heisst im Zweifel kann man auch später noch mal nachfragen.

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