Jeder, der sich mit der Krankheit Depression rumschlägt, muss eine eigene Haltung zum Einsatz von Antidepressiva finden. Es ist völlig ok, wenn man sie für sich selbst ablehnt, genauso wie es total ok ist, sie zu nehmen. Ich selbst habe sehr gute Erfahrungen mit Antidepressiva gemacht und nehme sie, mit Unterbrechung, seit ich Anfang 20 bin. Trotzdem ist es keine Liebesgeschichte, und unsere Beziehung hat in diesem Sommer einen herben Dämpfer erfahren.

Als es im Sommer mit den ersten Depressionssymptomen losging, war meine Psychiaterin felsenfest überzeugt, dass wir die Mittel, die ich seit 6 Jahren nehme, nur hochdosieren müssen, damit ich mich fange. Das haben wir über 10, 12 Wochen immer weiter gemacht, bis die Höchstdosis erreicht war – aber keine Besserung. Dazu muss man wissen, dass Antidepressiva immer erst nach 2 bis 3 Wochen anfangen zu wirken, auch wenn man „nur“ die Dosis erhöht. Nach langem hin und her (das ich mal in einem eigenen Beitrag beschreibe) haben wir uns also entschieden, zunächst ein weiteres neues Medikament dazuzunehmen.

Neben der verzögert eintretenden Wirkung ist ein weiterer negativer Aspekt von Antidepressiva, dass sie am Anfang mördermässige Nebenwirkungen haben können, die den Symptomen der Depression zum verwechseln ähneln.

Ständige Müdigkeit und Übelkeit waren über Wochen hinweg mein treuer Begleiter. Das beängstigend ist, dass man nicht weiss, ob es die Nebenwirkungen oder die Depression sind und ob die Symptomen in beiden Fällen nur vorübergehend sind oder dauerhaft so bleiben. Nachdem das neue Medikament auch nach 4 Wochen und einer Aufdosierung quasi nichts gebracht hat, mussten wir Tabula rasa machen und das „Leitmedikament“, das ich morgens nehme, erst ausschleichen und dann wieder mit einem neuen Medikament starten, was tierischen Nebenwirkungen hatte und von dem man erst nach ein paar Wochen sagen konnte, ob es wirkt.

In dieser Zeit, mit Übelkeit und Müdigkeit bis zur Schmerzgrenze, ist es mir sehr schwer gefallen, meiner Tochter weiterhin eine gute Mutter zu sein. Ich war ausgelaugt und hundemüde, verunsichert und hatte Angst. Jedesmal, wenn ein neues Medikament anstand, hatte ich Panik, dass es mich jetzt komplett aus den Socken haut und ich nicht mehr in der Lage sein könnte, mein Kind zu versorgen. In dieser Phase hab ich am liebsten die Nachmittage auf der Couch mit einem Kinderbuch verbracht, ich war mehr als einmal froh, dass die Kleine geschlafen hat. Auto fahren hätte ich nicht mehr gekonnt – ich hätte aber eh nicht gewusst, wohin mit uns.

Neben den ganzen Nebenwirkungen hatte ich auch noch mit Schuldgefühlen zu kämpfen. Ist es ok, wenn man sich wünscht, daß Kind schläft ständig? „Darf“ man von den Medikamenten so müde sein, dass man bei der Gute-Nacht-Geschichte in Sekundenschlaf verfällt?

Aber auch: Was wäre die Alternative gewesen? Ich hätte mir auf der einen Seite eine stationäre Aufnahme gewünscht und damit einen sicheren Rahmen für diese körperliche und seelische Achterbahnfahrt. Auf der anderen Seite hat mein Freund immer wieder klar gemacht, dass ein Leben ganz ohne mich für ihn und unsere Tochter eine noch viel größere Katastrophe gewesen wäre, als dass ich „nur“ müde und zerschlagen war…

Tatsächlich hat man als Mutter mit Kleinkind wenige wirkliche Optionen. Abgesehen davon, dass ein stationärer Platz kaum und nur mit sehr langen Wartezeiten zu bekommen ist, stellt sich dann die Frage, was mit dem Kind passieren soll. Ohne Verwandtschaft in erreichbarer Nähe hätte mein Freund sich längerfristig krankmelden müssen. Klar wäre das gegangen, aber es war wirklich der letzte Ausweg.

Meine Psychiaterin hat mich im Rahmen dessen, was ambulant möglich ist, mit Telefonaten durch diese schwierige Zeit begleitet. Allerdings ist die Betreuung mit einem Telefonat alle 8 bis 10 Tag viel zu gering für die Ängste und Unsicherheiten, die man in dieser Zeit durchlebt…

Geholfen hat mir in dieser Zeit die Kurzarbeit und das Homeoffice (mich hat ja keiner gesehen und die  Stunden, die ich mich zusammenreißen musste, waren überschaubar).

Und mein Freund hat sich, als ich das komplett neue Medikament nehmen sollte, drei Tage frei genommen, weil ich nicht sicher war, ob ich dann noch funktioniere (ok, er hat auch die US-Wahl im Fernsehen geschaut, aber hätte ich nicht funktioniert, wäre er dagewesen).

Wirklich gute Tipps, wie man die Eingewöhnungszeit übersteht und die Unsicherheit (Wirkt es? Hab ich Nebenwirkungen? Gehen sie wieder weg?) hab ich leider nicht.

Die Psychiaterin riet mir, nicht zu googeln und mich anderweitig zu beschäftigen. Beides für mein depressives Ich allerdings unmöglich. Ich hab als Kompromiss nur positive Bewertungen gelesen (Zustimmungsraten von 75 Prozent plus bei Meamedica) , wenn möglich dafür gesorgt, dass ich nicht alleine (für das Kind verantwortlich) bin und versucht, mich da aufzuhalten, wo mir nix passieren kann – nämlich auf der Couch.

Trotz alledem gilt beim Thema Antidepressiva letztendlich die Parole „Augen zu und durch“. Das ist unangenehm, aber für mich sind die Tabletten (wenn sie wirken) ein Baustein auf dem Weg hin zu wieder mehr Stabilität. Der Preis, den man (vorübergehend) zahlt, mag hoch sein, doch es kann sich lohnen…

Wie haltet ihr es mit Antidepressiva? Und wie habt ihr es zusammen mit dem Familienleben gewuppt?

Teile dies auf:
0 Kommentare

Hinterlasse einen Kommentar

An der Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns deinen Kommentar!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.